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Die Ära Merkel

16 Jahre Stabilität und Stillstand

Sechzehn Jahre hat Angela Merkel Deutschland geführt und regiert. Was hat sie in dieser Zeit erreicht – und was nicht? Die Rückschau auf Erfolge, Versäumnisse und Auswirkungen dieser für eine ganze Generation prägenden politischen Ära fällt zwiegespalten aus.

15. September 2021, von Reiner Hauser

Wenn Angela Merkel in diesem Jahr aus dem Amt der Kanzlerin scheidet, geht eine Ära zu Ende. Viele junge Erwachsene haben effektiv niemand anderen an der Spitze Deutschlands kennengelernt. Und das ist, um es vorwegzunehmen, keine gute Sache. Es beweist das politische Talent Merkels, dass sie ihre Position so viele Jahre verteidigen konnte und selbst jetzt noch beliebter ist als die Kandidaten, die Ende September um ihre Nachfolge kämpfen.

Für Deutschland und die Demokratie ist es jedoch von Nachteil. Denn wieder einmal hat sich gezeigt, dass zu lange Amtszeiten einzelner Parteien und Personen zu Stillstand und festgefahrenen Strukturen führen.

Mit Renommee und Wohlgefühl

Zweifellos hat Angela Merkel unglaublich viel Kraft und Arbeit in die Ausübung ihres Amtes gesteckt. Zu Recht wird sie auf der ganzen Welt für ihre nüchterne und gewissenhafte Arbeitsweise geschätzt. Doch ich behaupte, dass uns Deutschen dieses internationale Ansehen zu Kopf gestiegen ist und die Politikerin aus Ostdeutschland auf ein zu hohes Podest gestellt haben. Wenn wir uns einmal anschauen, was nach 16 Jahren, abgesehen von einem guten Gefühl, tatsächlich bleibt, fällt doch auf, dass nicht alles ganz so perfekt gelaufen ist.

Angefangen mit dem Ende: Zusammen mit der Langzeitkanzlerin verliert die Union dieses Jahr womöglich ihre Führungsposition in der deutschen Politik. Und daran ist Merkel nicht unschuldig. Sie hat es nicht geschafft, ihre Nachfolge zu regeln. Als sie Ende 2018 aufgrund schlechter Landtagswahlergebnisse und Umfragen ihren Verzicht auf eine weitere Kandidatur ankündigt, ist ihre Wunschkandidatin auf die Nachfolge Annegret Kramp-Karrenbauer. Doch die schafft es nicht einmal bis zur nächsten Wahl, woraus letztlich der Machtkampf zwischen Armin Lascht, Markus Söder und Friedrich Merz entsteht, der das ganze Problem von Merkels Dauerherrschaft offenbart.

Die Dynamik der langen Macht

Wer an der Macht ist, umgibt sich natürlicherweise mit Vertrauten und ähnlich Denkenden. Gerade in der modernen Demokratie, in der der Fraktionszwang das Gewicht des einzelnen Abgeordneten ohnehin marginalisiert, führt das genau wie in allen anderen politischen Systemen zu einem Einschlafen der Strukturen. Die immer gleichen Parteisoldaten werden gefördert und von Posten zu Posten geschoben, viele der Beteiligten überaltern.

Ohne politischen Wechsel (wie es früher durch den Wechsel von SPD und CDU gegeben war) fehlen bei der Union die selbstreinigenden Prozesse. Während Deutschland nach Wandel und neuen Impulsen lechzt, wartet die CDU mit schwächlichen Kopien Merkels auf, die allerhöchsten ein »Weiter so!« signalisieren. Es sind Vertraute, Ja-Sager und ebenjene Parteisoldaten, die sich über ihre Verbindungen nach oben gearbeitet haben und kaum je durch herausragende Kompetenz auffallen.

Merkel hat daran großen Anteil. In den ersten beiden Legislaturperioden mussten reihenweise Minister wegen Verfehlungen oder Fehlern zurücktreten. Mittlerweile können Minister massive Unfähigkeit an den Tag legen (Scheuer und die Maut, Kramp-Karrenbauer und Maas in Afghanistan), ohne dass Merkel überhaupt noch eine Reaktion verlauten lässt.

Das EU-Wahl-Debakel und fragwürdige Postenbesetzung

Hauptsache, die eigene Macht (oder die der Partei) ist gesichert. Und das geht am leichtesten, indem die eigenen Unterstützer gestützt werden, ungeachtet ihrer Fehler. Dass dabei das Vertrauen in die Regierung schwindet, kümmert Merkel offenbar nicht mehr. Derselbe Vorgang ließ sich bei der Europa-Wahl beobachten, als Merkel zusammen mit Macron die ohnehin gebeutelte europäische Demokratie massiv beschädigte, indem sie im Hinterzimmer eine Politikerin als Präsidentin der Europäischen Kommission einsetzte, die nicht einmal zur Wahl gestanden hatte. Ob es die EU-Bürger bei der nächsten Wahl noch interessieren wird, wen sie (nicht) wählen können?

Dass dieser Vorfall in Deutschland so stillschweigend akzeptiert wurde, zeigt nur, wie sehr sich auch die journalistische Medienlandschaft in dem Wohlgefühl suhlt, das Merkel in 16 Jahren durch ihre Nicht-Kommunikation aufgebaut hat. Ähnlich war es auch bei der Besetzung manch inländischer Posten, etwa wenn Heiko Maas offenbar ohne besondere Qualifikation zum Außenminister ernannt wird. Oder wenn Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer nacheinander für die Bundeswehr verantwortlich gemacht werden, ohne jegliche fachliche Kompetenz dafür. Nicht zu vergessen auch Christian Wulff als Bundespräsident, der dieses Amt allein aus Parteipolitik-Gründen bekommen hat.

Das miserable Abschneiden dieser Personen ist auch Merkel anzulasten. Eine Restschuld trifft dazu noch die großen Medien, die das alles stets schulterzuckend hinnehmen oder sogar noch begrüßen, etwa weil nun endlich eine Frau die Bundeswehr unter den Fittichen hat.

Um also diese Klammer zu schließen: Die Union, besonders die CDU, steht nach dieser Ära kopflos da, mit ausgedientem, visionslosem Personal, das für die Probleme der Gegenwart nicht mehr geeignet scheint.

Stabilität in der Krise, aber auch Stillstand

Merkels guter Ruf kommt dennoch nicht von ungefähr. Sie hat Deutschland mit ruhiger Hand und besonnen durch die Wirtschafts- und Eurokrise geführt, in denen viele Länder größere Probleme hatten. Mit ihrer stoischen Art erarbeitete sie sich bei anderen Staatschefs und bei der eigenen Bevölkerung Respekt und Vertrauen. Wie wertvoll diese Attribute in der Spitzenpolitik sein können, zeigte sich gerade in der Finanzkrise als sie der Öffentlichkeit mit Peer Steinbrück zusammen die Sicherheit ihrer Einlagen zusicherte, obwohl so ein Versprechen in der damaligen Situation unmöglich war. Doch die Menschen glaubten und vertrauten dieser Kanzlerin, die so viel Kompetenz und Bodenständigkeit ausstrahlt. Allein indem unter Merkel nie Panik aufgekommen ist, wurde wohl so manches Übel verhindert.

Gleichzeitig aber führt diese Stärke auch Merkels größte Schwäche vor Augen: Das Aussitzen von Problemen, ihre Visionslosigkeit. In Krisen-Momenten ist ihre ruhige Art Gold wert. Doch wenn man Probleme danach nicht angeht, verschwinden sie nicht einfach. Konsequenzen aus der Finanzkrise wurden kaum gezogen. Die Banken und Börsen arbeiten im Wesentlichen wie vorher, die Ungleichheit der Vermögen und die Ungleichbehandlung der Schichten in Sachen Gerechtigkeit und Verantwortung wurden kaum angegangen und haben sich bis heute nur immer weiter verschlimmert.

Auch in anderen Fällen zeigte ihre Politik keine nachhaltige Wirkung. In der Ostukraine konnte sie mit ihrem großen Einfluss einen Friedensplan erwirken. Doch Frieden ist dort seither nicht eingekehrt. Die Lösung des Problems ist so fern wie am ersten Tag.

Humanitär und fatal: Die Flüchtlingskrise

Ebenso in Sachen Flüchtlingskrise konnte Merkel keine Lösungen finden. Die europäische Gemeinschaft hat noch immer kein funktionierendes Verteilungssystem, es gibt nicht einmal einen Konsens für den Umgang mit Flüchtlingen und Einwanderern. Stattdessen wurde das Thema mit ruhiger Hand verdrängt. Es sitzt nun in Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln, in Libyen und der Türkei.

In der Flüchtlingskrise selbst setzte Merkel dafür ein seltenes Mal ihren eigenen moralischen Vorstellungen durch und ermöglichte eine der herausragendsten humanitären Großereignisse der jüngeren Geschichte, als sie Hundertausenden Syrern den Schutz Deutschlands zusagte.

Die Konsequenzen für Europa und Deutschland waren und sind allerdings enorm. Das eine Mal, als sich Merkel nicht in ihre ruhige, abwartende Politik zurückzieht, bekommt sie prompt die Quittung: Terroranschläge, das Erstarken der AFD und damit eine weitere Zersplitterung der politischen Landschaft. Und nicht zuletzt vor den Kopf gestoßene politische Partner in Europa, die sich und ihre Länder durch Merkels Alleingang überfahren fühlen.

Auf seine Weise ist dieses Kapitel in Merkels Amtszeit daher ein Höhe- und ein Tiefpunkt zugleich. Ob man ihn nun als humanitäre Großtat oder innenpolitische Katastrophe versteht, das Geschehen hätte besser gemanaged werden können. Allerdings auch wesentlich schlechter.

Sie stand nicht im Weg

»Es könnte besser sein, aber auch schlechter« war insgesamt einer der Grundsätze in Merkels politischer Zeit. Verhandeln, Kompromisse eingehen, den kleinsten gemeinsamen Nenner finden und immer die Realpolitik im Auge. Merkels Arbeit war nie von Visionen geprägt, sondern von dem, was im Moment machbar ist. Etwa im Umgang mit China. Menschenrechtsverstöße werden angesprochen, gerade so, dass niemand wirklich vor den Kopf gestoßen wird, um dann über Wirtschaftliches zu verhandeln.

Eine solche politische Haltung bringt Stabilität. Es wird nicht losgepoltert und kein Konflikt vom Zaun gebrochen. Alle Beteiligten, sei es im In- oder Ausland, haben Planungssicherheit. Politiker wie Firmen wissen, womit sie rechnen müssen und allein das ist für die Verwaltung und Wirtschaft eines Staates viel wert. Mit Sicherheit hat die ruhige Art der Kanzlerin dazu beigetragen, die wirtschaftliche Stärke Deutschlands und damit unseren Wohlstand zu erhalten oder sogar auszubauen.

Zumindest für den Augenblick. Denn was bei einer solchen Politik auf der Strecke bleibt, ist das Angehen neuer Herausforderungen und das Reformieren von Strukturen, die sich im Wandel der Zeit überholen. Hätte sich Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten so gut behauptet, hätte die Schröder-SPD mit der ungeliebten Agenda 2010 nicht Vorarbeit geleistet?

In Merkels Zeit fallen wenige Reformen, die über das bürokratische Anpassen einiger Details hinausgehen. Die Rente mit 67 und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer könnte man nennen, auch wenn beides kaum als wegweisende Weichenlenkung in Erinnerung bleiben dürfte. Herausragend ist nur die Einführung des Mindestlohns, die allerdings von der SPD gegen viele Widerstände der Union durchgesetzt wurde.

Doch immerhin hat Angela Merkel den Weg dafür freigemacht und das ist ein weiterer dieser definierenden Aspekte ihrer Regierungszeit. Merkel hat als Kanzlerin keine tiefen Überzeugungen, an denen Sie eisern festhält. Ideologien sind ihr fremd. Das machte sich beim Atomausstieg bemerkbar, bei der Ehe für alle, der Aussetzung der Wehrpflicht und beim Mindestlohn. Zwar ist es kaum eine Großtat, nicht im Weg gestanden zu haben, doch engstirnigere Regierungschefs hätten sich den Veränderungen aus schierer Sturheit verweigert. Ob diese Entscheidungen nun aus einer moralischen Gesinnungslage oder politischem Kalkül heraus getroffen wurden, ist letztlich zweitrangig.

Probleme wurden aufgeschoben

Durch dieses allein reaktive Verhalten auf Veränderungen sind jedoch viele Probleme auf der Strecke geblieben und für nachfolgende politische Generationen aufgeschoben worden. Und das ist mit Sicherheit das große überschattende Manko der Ära Merkel. Deutschland und die EU wurden 16 Jahre gewissenhaft verwaltet. Reformen gab es jedoch keine. Und das wird uns noch einholen und die Rückschau auf Merkels Zeit eintrüben.

Beim Thema Klima wurde zu wenig getan, der Ausbau der erneuerbaren Energien ist gar ins Stocken geraten. Jahre wurde verspielt, in denen schon mehr hätte getan werden müssen. Nicht einmal die Stromtrassen werden fertig.

Die EU driftet immer weiter auseinander, Großbritannien ist gar ausgetreten. Dass die EU in ihrer aktuellen Form reformiert, ja drastisch umgebaut werden muss, wenn sie auf Jahrzehnte weiter funktionieren soll, all das ist Merkel trotz ihres großen internationalen Gewichts nicht einmal angegangen. Diese Thematik hat sie lieber dem Franzosen Macron überlassen und ihn auf seinem Weg verhungern lassen.

Auch hatten Merkel und die große Koalition keine Antworten auf sich immer weiter ausbauende soziale Ungleichheiten. Es wurde nicht einmal versucht, die Schere zwischen Arm und Reich tatsächlich zu bekämpfen. Stattdessen werden Jahr um Jahr die Börsen gestärkt, die Dummen sind die Sparer, die zusehen müssen, wie sich nur das große Geld von selbst vermehrt – das der Anleger und Immobilienbesitzer. Auch gibt es nach wie vor keine ernstzunehmenden Konzepte für mehr bezahlbaren Wohnraum.

Das Rechtssystem erstickt in juristischem Klein-Klein, in dem Prozesse mitunter Jahrzehnte dauern, während die Schwächeren der Gesellschaft ihr Recht gegenüber den Reichen und großen Firmen nicht durchsetzen können. Zugleich können sich Wirtschaftsverbrecher meist einer Verurteilung entwinden (etwa mit einer Flucht in die Schweiz, siehe Cum-Ex) oder werden so geringfügig belangt, dass sich ihre Verbrechen am Ende auszahlen. Von der großen Verantwortung, die von Managern und Großunternehmern immer und immer wieder beschworen wird, ist indes nichts zu sehen. Wer tatsächlich einmal aufgrund von Betrügereien oder Unfähigkeit seinen Job einbüßt, wird sogar noch millionenschwer entschädigt. Der Abgas-Skandal bleibt am ehesten durch die Lobby-Arbeit des Verkehrsministers in Erinnerung und nicht für die Bestrafung der Beteiligten.

Genauso reformbedürftig wäre die Bürokratie, doch vom Abbau derselbigen sprechen alle nur. Denn auch hier sind in der Regel die Hände der Beteiligten gebunden. Der Hauptschuldige sind Haftung und Richtersprüche, vor denen sich jeder bis zu einem Maximum absichern will. Lösungskonzepte wurden auch hier nicht einmal gesucht.

Gesucht, aber nicht gefunden, wurden Lösungen für unsere Bundeswehr, die selten den Eindruck macht, wirklich einsatzfähig und schlagkräftig zu sein. Mehrere Minister wurden verschließen, ohne erkennbaren Erfolg.

Visionslosigkeit und außenpolitische Ohnmacht

Letztendlich war unter Merkel nie eine Vision zu erkennen, so wie sie ein Willy Brandt bei seiner Ostpolitik hatte, die lange Jahre vorbereitet wird und Stück für Stück umgesetzt wird. Unter Merkel wurde von Monat zu Monat regiert. Augenscheinlich wurde das besonders in der Corona-Krise, in der zwar Maßnahmen ergriffen wurden, doch immer nur als Reaktion auf die Geschehnisse, nie aus Weitsicht. Das Überstehen der Krise wurde mit dem Geld von Morgen bezahlt, das Problem auf andere abgewälzt.

Ganz ähnlich wie Corona trieb auch Donald Trump Merkel vor sich her. Der Irre im Weißen Haus pfiff auf politische Konventionen und nahm eine ausgetreckte Hand nur als Chance, um noch mehr Vorteile für sich herauszuschlagen. Die abwartende, zurückhaltende Politik Merkels hatte dem nichts entgegenzusetzen. Am Ende tat Trump was er wollte, zum vermeintlichen Vorteil seines Landes. Das Signal an andere Populisten in der Welt: Ach, so einfach geht das! Auch im Umgang mit der Türkei, mit Polen und Ungarn zeigt sich immer deutlicher, wo die Grenzen von Merkels Art der Politik sind. Wenn jemand einfach die Arme verschränkt und wegschaut, läuft ihre Zurückhaltung ins Leere.

Am Ende der Amtszeit Merkels steht die ganze Welt gespaltener da als zu ihrem Beginn. Das ist natürlich nicht Merkels Schuld, doch trotz ihres herausragenden internationalen Rufs hat sie doch sehr wenig erreicht, um dem entgegenzuwirken. Russland hat sich entfremdet, statt angenähert. Unser großer Freund, die USA, verhängt mittlerweile sogar Sanktionen (Nordstream 2) gegen uns und bei internationalen Projekten wie dem Atom-Deal mit dem Iran oder dem Afghanistan-Einsatz zeigt sich wieder und wieder, wie machtlos die Europäer in ihrer Abhängigkeit von den USA geworden sind.

Spaltung der Gesellschaft, AFD und Corona-Politik

Innenpolitisch ist in Merkels Zeit ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verbuchen. Die AFD ist zu einer beständigen Kraft geworden, die durch die angesprochene Flüchtlingskrise und der zunehmenden sozialen Ungleichheit gestärkt wurde und wird. Ebenso dürfte die Entfremdung einiger Bevölkerungsteile durch einen stark präsenten Fokus auf manchmal sogenannte Lifestyle und Symbol-Politik (Gendern, Anti-Rassismus-Projekte, Ernährung, Umweltschutz), in denen sich viele mit ihren alltäglichen Problemen nicht wiederfinden. Die Regierungskoalitionen unter Merkel haben wenig getan, um diese Risse zu heilen.

Stattdessen wurden die öffentlichen Debatten rauer, die Beschimpfungen in beide Richtungen drastischer und vor allem die Bevormundung Andersdenkender durch Verbote und soziale Ächtung verschärft. Ähnlich ging auch die Entscheidungsfindung in Corona-Zeiten von statten, die in ihrer Art und Weise, wenn auch natürlich nicht in ihrer Qualität, an Vorgänge unter den Nationalsozialisten erinnerten. Das Aushebeln des Föderalismus durch neue Bundesgesetze, das Beschließen von Maßnahmen ohne die demokratische Rückendeckung des Bundestages und das Verbieten von Gegendemonstrationen hat kein gutes Licht auf eine Regierung geworfen, die gleichzeitig selten durch Kompetenz in der Krise aufgefallen ist.

Dass durch solche Vorgänge das Vertrauen in die politischen Verhältnisse bei bestimmten Bevölkerungsgruppen noch weiter sinkt, muss klar sein. Das augenscheinlichste Beispiel ist die Impflicht durch die Hintertür, die schon seit Monaten vorangetrieben wird. Die deutsche Politik hat versprochen, dass es eine solche Impflicht nicht geben würde. Ob das richtig war oder nicht, sei dahingestellt. Doch dieses Versprechen neunmalklug zu brechen, hilft nicht dabei, die Gesellschaft zu einen.

Nicht-Kommunikation und Wahl-Alternativlosigkeit

Entfremdung und Politikverdruss entstehen also nicht einfach so. Dazu kommt dann noch Merkels Nicht-Kommunikation, die zu einem großen Problem für alle außer ihr selbst geworden sind. Angela Merkel hat gelernt, dass es ihr politisch am dienlichsten ist, sich einfach zu keinen Debatten öffentlich zu äußern. Wer nichts sagt, sagt nichts falsch. So entsteht das anfänglich in diesem Artikel erwähnte politische Wohlgefühl, das ihr nach wie vor gute Umfragewerte einbringt.

Doch diese inhaltliche Führungslosigkeit erzeugt viele Probleme. Zum einen entsteht kein politischer Diskurs in den höchsten Reihen mehr, an dem sich auch der Wähler reiben könnte, was wiederum zu einer gewissen Emotionslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem politischen Betrieb führt.

Zum anderen wird Verantwortung ständig auf andere abgewälzt, was besonders die Koalitionspartner der Union zu spüren bekommen haben. SPD und FDP soffen beide in der Wählergunst ab, während die Union lange auf hohem Niveau blieb. Merkels guter Ruf ließ ihr alle Errungenschaften zufließen, während das Negative an den anderen hängen blieb. Ein gutes Beispiel hierfür ist Merkels Ehrendoktortitel in Harvard, in dessen Zusammenhang sie unter anderem für den Mindestlohn, die Ehe für alle und den Atom-Ausstieg geehrt wurde. Alles Themen, die unter ihrer Ägide zwar gekommen sind, die ihr aber von außen aufgedrückt worden sind, in die sich also lediglich ergeben hat.

Durch diese Dynamik im Zusammenspiel mit dem Dauerzustand »Große Koalition« ist für den gemäßigten Wähler eine unmögliche Situation entstanden. Die Regierung kann nicht mehr abgewählt werden, denn eine der beiden beteiligten Parteien wird immer auch einer neuen Regierung angehören. Das fördert die Zersplitterung der politischen Landschaft und macht die Regierungsbildung zunehmend schweirig. Auch das ist natürlich nicht alles Merkel anzulasten. Doch ihr Politikstil hat dazu beigetragen.

Fazit

Mein Fazit der Ära Merkel ist ein Spiegelbild ihrer Politik. Man kann ihr wenige große Fehler anlasten, sie hat für Stabilität in Krisenzeiten gesorgt und war immer ein Ruhepol und Anker in einer aufgewühlten Welt. Doch die Versäumnisse ihrer Amtszeiten sind nicht geringfügig und werden uns in der Zukunft noch große Probleme bereiten. Die Herausforderungen und Reformen überlässt sie den nächsten Generationen an Politikern, die es umso schwerer haben werden, da die Zeit nun umso mehr drängt. Fatalerweise werden sich diejenigen, die die Probleme letztlich angehen, unbeliebt machen müssen. Sie werden im Vergleich zu ihrer Vorgängerin in einem schlechteren Licht dastehen und weniger Unterstützung genießen als Angela Merkel, die viele Probleme ihrer politischen Zeit, zum Guten wie zum Schlechten, einfach ausgesessen hat.

P.S.: Eine Amtszeitbeschränkung auf acht oder zehn Jahre würde der deutschen Demokratie guttun.

Zum Schluss: Glauben Sie bitte nicht blind, was ich schreibe. Ich verfasse meine Artikel auf Basis von Informationen, die ich durch Nachrichten, Artikel, andere Personen und eigene Interpretation von aktuellen und geschichtlichen Zusammenhängen gewinne. Aber am Ende ist es nur meine persönliche Meinung. Nehmen Sie diese als Anreiz, sich eine Meinung zu bilden oder Ihre bestehende mit der ein oder anderen neuen Überlegung zu erweitern.

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